Autor und Zeichner Ralf-Alex Fichtner verstorben

Mein lieber Kollege und Bruder im Geiste, der Schwarzenberger Künstler, Karikaturist, Krimi- und Phantastikautor Ralf-Alex Fichtner ist bereits vergangene Woche in der Nacht zu Mittwoch verstorben. Ralf Alex-Fichtner (RAF) wurde nur 69 Jahre alt. Wer den Mann mit dem Rauschebart und dem typischen Erzgebirge-Dialekt kannte, der wird sich an einen stets lebensbejahenden, freundlichen  und liebenswerten Menschen erinnern. Die schwarzhumorigen Cartoons (zum Beispiel für den „Eulenspiegel“) machten Ralf schon zu DDR-Zeiten bekannt. Als Autor kurzer und kürzester Krimis verstand er es ebenfalls, seinen ganz speziellen schwarzen Humor unters Volk zu bringen. Oft überschreitet sein Werk die Grenze zum Phantastischen, und auch der Horror lag ihm, dem Dario-Argento-Fan, sehr. Einige der besten seiner Horror-Kurzstorys erschienen in dem Buch „Fifty Shades of Grave“ (zusammen mit Claudia Puhlfürst und mir). Gemeinsam mit Claudia Puhlfürst erschien der opulente Bildband „Keiner kennt die Wahrheit“, in dem unheimliche und ungelöste Kriminalfälle neu aufgerollt wurden. Ebenso verlieh RAF  dem von mir verfassten Büchlein „Allerleigrau“ – neue deutsche grausame Kinderreime – das kollegiale grafische Beiwerk. Auch als Comic-Künstler hatte RAF seinen besonderen Stil, wie man sich in seinem Schauergeschichten-Buch „Vitrine des Grauens“ (Phillis Verlag) oder auch in „Kingsport“ (Basilisk-Verlag) überzeugen kann.  Für die Romanheftserie PROFESSOR ZAMORRA gestaltete RAF mehrere Cover  – weitere werden posthum folgen. Ein geplantes Buch mit Geistergeschichten für den Blitz Verlag konnte leider nicht mehr fertig gestellt werden. Zuletzt war der vielseitige Künstler mit Zeichnungen für ein Schulbuch sehr eingespannt.

Ralf hinterlässt seine Ehefrau und drei erwachsene Kinder.

In tiefer Trauer
Uwe

10 Jahre Fukushima: Dark Prophecy

Vor genau zehn Jahren schrieb ich noch am selben Tag unter dem Eindruck der schrecklichen Katastrophe das Gedicht „Black Prophecy“, das Jörg Kleudgen kongenial ergänzte und zu einem Songtext für seine Band The House of Usher umarbeitete. So steht der Song bis heute als bleibendes Mahnmal technischen Irrsinns, der sich gegen die Natur erhebt: THE HOUSE OF USHER – Dark Prophecy – YouTube

Gästehaus Seeblick, Allerseelen

Da bin ich wieder. So wie jeden Herbst sitze ich auf der Bank gegenüber und betrachte traurig deinen Untergang. Seitdem die alte Kurklinik nebenan aufgegeben wurde und ebenso wie du leer und trostlos vor sich hindämmert, warst auch du nicht mehr rentabel. Durch die fast kahlen Äste betrachte ich deine bröckelnde Jugendstilfassade, die sich aus dem Teppich aus welkem Laub erhebt.
Früh bricht die Dämmerung herein, unten am verwaisten Kurparksee ziehen die schwarzen Schwäne eine letzte Runde.
Da sehe ich die Bewegung an einem der Fenster im zweiten Stock. Ich erkenne deinen Schatten, und sofort ist er wieder gegenwärtig, jener Augenblick vor dreißig Jahren, als wir uns im Gästehaus das erste Mal begegneten.
Du schaust zu mir herunter und winkst mir zu.
Ich winke zurück, und einen Moment lang sind wir wieder vereint.
So wie an jedem Allerseelentag. Du und ich.
Das Einzige, das uns noch trennt, ist:
dass ich lebe.

Februar

Fast vier Jahre nach seinem Todestag (22. April 2016) erscheint Malte S. Sembtens Storysammlung „Dormengruul“ als sehr schöne Reprint-Ausgabe im KOVD-Verlag. Während die limitierte und daher bis heute sehr gesuchte Erstauflage damals als Taschenbuch erschien, entschied man sich nun für ein Hardcover. Die einzelnen Storys blieben unangetastet, das von mir damals verfasste Nachwort habe ich jedoch überarbeitet und aktualisiert. Zu bestellen ist das Buch hier: „Dormenghruul“.

In tiefer Trauer: ARCANA †

22 Karten umfassen die auch große Arcana genannten Trümpfe des klassischen Tarot. ARCANA,  das „Magazin für klassische und moderne Phantastik“ hatte mit zuletzt 25 Ausgaben sogar ein paar Trümpfe mehr zu bieten.

Heute erreichte mich die traurige Gewissheit, dass ARCANA eingestellt worden ist. Bis zuletzt hatte ich zumindest noch auf eine allerletzte Ausgabe gehofft und dafür auch die Story „Requiem“ geschrieben, die als ebenfalls letztes Arcana Piccolo allen Abonnenten als Dankeschön zugeschickt wird. Aber eben leider nicht mit einer regulären ARCANA-Ausgabe. Stattdessen erwartet den Abonnenten ein von Verleger Gerhard Lindenstruth an die Leser gerichteter letzter Gruß mit zwei wunderschönen Farbtafeln von Schädelwaldt auf den Umschlagseiten. Auf schwarzem Tonpapier haben der Verleger und der Künstler in Gold signiert. Das Ganze hat tatsächlich etwas von stilvoller Kondolenz, und ich vermeine den verwelkenden Geruch von Astern und Lilien in der Nase zu spüren. Ich werfe eine schwarze Rose ins Grab und versenke mich in die vergangenen Ausgaben, die mich mehr als eineinhalb Jahrzehnte begleitet haben. Denn eines ist sicher: Diese Lücke ist eine schmerzhafte.

Ich erhebe das Glas
in tiefer Trauer. †

Rückkehr nach Fischmund

Eines der schönst aufgemachten Bücher, an denen ich mitwirken durfte, ist jüngst in der EDITION CL erschienen. In hochwertiger Ausstattung mit Goldprägung auf dem Buchrücken, Schutzumschlag und Lesebändchen, signiert von dem Illustrator Jörg Neidhardt und mir und einer Faksimile-Signatur des leider im letzten Jahr verstorbenen Malte Schulz-Sembten, mit dem mich eine über zwanzigjährige Freundschaft verband. Ohne unsere Freundschaft, die keinesfalls Gleichklang in literarischem Schaffen bedeutete, wäre dieser Roman sicherlich nie entstanden.

Wenn ich heute »Fischmund« lese – und das nach über zwanzig Jahren das erste Mal wieder, befällt mich Wehmut. Es waren stürmische, aber auch äußerst kreative und hoffnungsvolle Zeiten, in der der Roman entstand. Vor allem war ich über zwanzig Jahre jünger. Malte lag damals, 1994, im Krankenhaus, sehr lange, schmerzvolle Wochen, aber ich wage zu behaupten, dass ihn die Arbeit an diesem Roman zumindest die Langeweile hat vergessen lassen.

Da ich neben dem Schreiben auch noch einen Hauptberuf als Texter und Konzeptioner hatte, konnte ich kaum mit Maltes damaligen Arbeitseifer mithalten. Alle paar Tage erreichte mich ein dickes Bündel weiterer handgeschriebener Manuskriptblätter. Meistens mit kleinen Zeichnungen von »Frosch-Fressen« verziert. Manche der Briefe kamen direkt aus »Innsmund«, wie wir »Fischmund« in einer ersten Manuskriptversion genannt hatten.

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Natürlich hat es uns unbändigen Spaß gemacht, einige gemeinsame Bekannte in dem Roman zu verbraten. So den Horror- und Comiczeichner Rainer Engel, der bei uns Rainer Zadok heißt. Als wir hoffnungsvoll das Manuskript Michael Schönenbröcher, dem verantwortlichen Redakteur der DÄMONEN-LAND-Reihe bei Bastei Lübbe schickten, entwarf Reiner Engel für uns sogar ein passendes Titelbild, das wir gleich mitschickten.

Obwohl ich damals schon einige Heftromane veröffentlicht hatte, also kein Greenhorn mehr war, kommt mir unsere damalige Euphorie im Nachhinein ziemlich naiv vor. Denn »Fischmund« erfüllt nun sämtliche Gesetze eines Romanheftes – nicht. Es fehlt in der ersten Hälfte jegliche Actionhandlung. Stattdessen hangelt sich der Ich-Erzähler wie in einem Computerspiel allmählich im Haus und in Fischmund vor und stößt auf immer mehr Geheimnisse, wovon wiederum nicht jedes am Ende gelöst wird bzw. nicht immer ganz klar ist, was er denn nun geträumt hat und was nicht. Auch die etwas – nun ja – gewöhnungsbedürftige Aussprache Rainer Zadoks hätte uns jeder verantwortungsbewusste Romanheft-Lektor gestrichen. Und ganz unmöglich ist natürlich auch der Part, in der Zadoks Rede nacherzählt wird, der wichtigsten Regel in jedem Schreibkurs widersprechend: Show, don’t tell!

Ich habe den Roman für die vorliegende Veröffentlichung nur behutsam überarbeitet und ihn der heutigen Zeit angepasst. So habe ich die Namen modernisiert und lasse den Roman auch in der heutigen Zeit spielen. Okay, bei einer Sache habe ich mich dann doch nicht entschließen können, sie zu ändern: Damals gab es noch keine Handys. Für Autoren ideal, konnte man doch Hilfe nur mit dem Festanschluss zu Hause oder in einer Telefonzelle herbeirufen. Heutzutage behelfen sich schlaue Autoren damit, ihre Helden und Heldinnen in ausweglosen Situationen betonen zu lassen, dass es kein Netz und somit keinen Empfang gibt. Damals war es halt so, dass unsere Protagonisten vergeblich nach einer Telefonzelle Ausschau halten. Die waren damals übrigens noch gelb. Und Navis gab es natürlich auch nicht – es wäre eine sehr reizvolle Pointe gewesen, wenn der Ich-Erzähler das Örtchen Fischmund in sein Navi eingegeben hätte – und eine quäkende Froschstimme hätte ihn dorthingeleitet. So aber sucht er vergeblich in seinem Straßenatlas.

Blasphemisch, unbeschreiblich, unfasslich, grenzenlos, unvorstellbar – all diese Adjektive, die eine typische Lovecraft-Story ausmachen, fehlten bei uns genauso wenig wie das unerbittliche Ende, auf das der Erzähler letztlich und unausweichbar zutorkelt …

Warum aber hat es so lange gedauert, bis dieser Roman überhaupt das Licht einer Veröffentlichung erblickte? Möglichkeiten hätte es genug gegeben, aber Malte war zu Lebzeiten der Ansicht, es wäre zu viel Arbeit, den Roman zu redigieren. Zumal eine Veröffentlichung ja nur im kleinen Rahmen und damit für eine sehr kritische Phantastik-Leserschaft möglich gewesen wäre. Eine Heftreihe, in der man eigenständige Romane hätte veröffentlichen können, gab es ja seit dem Ende der DÄMONEN-LAND-Reihe nicht mehr. Und je mehr Zeit verging, nun, umso penibler ging Malte generell an seine Arbeiten heran, umso unnachgiebiger wurde sein eigener Anspruch. Dagegen fand ich immer, dass »Fischmund« in dieser damals vorliegenden Version durchaus repräsentabel war und ist.
Insofern möge mir Malte (sollte er mich hören) verzeihen. Aber »Fischmund« ist einfach zu schade, um in irgendwelchen Schubladen dem Vergessen anheimzufallen.
Insofern danke ich Robert N. Bloch für die Suche nach dem (verschollen geglaubten) Manuskript in Maltes Nachlass, Maltes Bruder Konrad für die Erlaubnis, den Roman zu veröffentlichen und Eric Hantsch dafür, dieses Wagnis nicht nur aufzunehmen, sondern das Werk in der denkbar schönsten und prächtigsten Version zu präsentieren.

Betrachtet »Fischmund« also als durchaus lesenswertes Dokument an – als Dokument eines vergangenen Jahrzehnts, als die Horror-Fabrik noch allen offenstand, die Zukunft himmelblau und rosa schien und die Hoffnungen und Träume entsprechend in den Himmel wuchsen.

Loriots Gästebuch

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Es gibt zwei große Deutsche, die jeder kennt und die über jeden Zweifel erhaben sind: Der eine heißt Helmut Schmidt, und der zweite Loriot. Loriot ist vor zwei Jahren gestorben, und seitdem habe ich das Gefühl, dass da eine große Leichenfledderei im Gange ist. Loriot wusste, dass weniger mehr war, und so erschien in den letzten drei Jahrzehnten nur spärlich etwas Neues: Meist handelte es sich um Verstreutes, Gesammeltes oder Fragmentarisches. Insofern passt auf den ersten Blick auch dieses Gästebuch in die Reihe. Hauptsächlich in den Jahren 1957 bis 1963 lichtete Loriot seine Gäste ab. Zumeist vor dem immer gleichen Vorhang und einer Säule als Requisit. Das hört sich originell an, ist es auch, wenn man es für den Privatgebrauch anfertigt und – wie der Gastgeber zeit seines Lebens – in einer Schachtel verwahrt und höchstens im Bekannten- und Familienkreis herumzeigt.

Dass diese privaten Schüsse nun an die Öffentlichkeit gezerrt werden, hätte Loriot nie geduldet. Dazu sind sie einfach zu uninteressant. Die meisten der Abgebildeten kenne ich nur als Insider. Als Zeitdokument ist die Mehrzahl der Fotos zu privat. Das Posing derjenigen, die es vor der Kamera gewohnt waren (Schauspieler wie Walter Giller oder Horst Buchholz) wirkt angestaubt. Das Posing der anderen (Autoren, Kollegen, Verleger) wirkt meist übertrieben „kreativ“ (Tomi Ungerer mit bloßem Oberkörper). Am ehrlichsten sind die Fotos von Verwandten und weniger prominenten Bekannten. Sie schauen hölzern bis schüchtern in die Kamera. Manchmal scheint es ihnen sogar unangenehm. All diese Fotos als Loriots erste „Gehversuche bei der Inszenierung von Alltäglichem“ zu bezeichnen, erscheint mir übertrieben. Dagegen sollte man den Hinweis, dass es sich nicht um ein originäres Werk handelt, sondern um nachgelassene Materialien, ganz dick auf den Buchdeckel schreiben. „Zum besseren Verständnis des Vicco von Bülow“, wie Peter Geyer im Vorwort behauptet, tragen sie leider nicht bei.

Der mächtige Hornbach-Hammer

Ich habe einen! Was heißt einen? Ich habe IHN: Aus echtem Panzerstahl. In Deutschland geschmiedet und veredelt. 500g Hammerkopf. Stiel aus Hickory-Holz. Was sich so martialisch anhört, ist es auch und wird werbetechnisch auf die Spitze getrieben mit Sprüchen wie: „Der Hammer in Deinen Händen. Die Welt zu Deinen Füßen“. Wäre Goebbels Werbetexter gewesen, solch ein Spruch hätte auch aus seiner Feder stammen können. Natürlich kommt solch ein Hammer nicht einfach nackt daher: Eingebettet in einem stylishen, mit Hochglanzeffekten veredeltem Pappkarton, kann man auf der Rückseite „Der Weg des BMP-1 zu einem HORNABCH HAMMER aus echtem Panzerstahl“ verfolgen (man merkt schon: die Sache mit dem Panzer wird uns hier mit dem Holzhammer eingebläut!). Die Skizze sieht aus wie eine Feldkarte von Stalingrad. Fünf beigelegte Postkarten dokumentieren diesen Weg zudem fotografisch. Und für den, der es bis dahin noch nicht begriffen hat, liegt ein gigantisches Tuch bei: Mit Zeichnung und abermals markigen Werbeworten: „Geboren aus Panzerstahl. Gemacht für die Ewigkeit.“ Wer da nicht schwach wird!
Ob ich mit dem Hornbach-Hammer besser hämmern kann, weiß ich nicht, aber zuschlagen lässt es sich damit bestimmt besser. Der sogenannte Hammermörder Norbert Poehlke hätte seine Freude daran gehabt (und dabei hat er nur Scheiben mit dem Hammer eingeschlagen, nicht etwa die Köpfe seiner Opfer). Dennoch: Das Internet ist voll von echten Hammermördern! Insofern könnte der Hornbach-Hammer da schnell mal zweckentfremdet wären. Frei nach dem Motto: „Der Hammer in Deinen Händen. Die Leiche zu Deinen Füßen“.

Ich zähle täglich meine Leichen (3)

Okay, den ersten Toten von der heutigen BILD-Titelseite kann man nicht mehr toppen: „Mann vom Mond im Meer bestattet!“ Das hat wahre Größe, und ein Hauch Geschichte weht uns entgegen!
„8 Frauen bei Nato-Angriff getötet“ wird gleich nebenan getitelt, und man erfährt so ganz nebenbei im Kleingedruckten, dass bei dem Angriff aber auch „45 Aufständische“ getötet wurden. Wie immer man den Begriff „Aufständische“ in NATO-Kreisen auch definieren mag.
Zu den 54 Toten auf der Titelseite kommen nur 7 weitere Leichen im gesamten Innenteil hinzu. Hat da jemand geschlafen? Da ist ja fast noch interessanter, dass William den Fotograf, der seine Kate nackt erwischt hat, „hinter Gittern sehen“ will. Das hat doch was! Ein Schuss Rambo und Clint Eastwood gleichermaßen. Wer weiß, ob es da nicht auch noch Tote geben wird! Gesamtbilanz der heutigen BILD: 64 Leichen und ein Prinz, der vielleicht demnächst auf Fotosafari gehen wird: Mit dem Jagdgewehr!