Es gibt zwei große Deutsche, die jeder kennt und die über jeden Zweifel erhaben sind: Der eine heißt Helmut Schmidt, und der zweite Loriot. Loriot ist vor zwei Jahren gestorben, und seitdem habe ich das Gefühl, dass da eine große Leichenfledderei im Gange ist. Loriot wusste, dass weniger mehr war, und so erschien in den letzten drei Jahrzehnten nur spärlich etwas Neues: Meist handelte es sich um Verstreutes, Gesammeltes oder Fragmentarisches. Insofern passt auf den ersten Blick auch dieses Gästebuch in die Reihe. Hauptsächlich in den Jahren 1957 bis 1963 lichtete Loriot seine Gäste ab. Zumeist vor dem immer gleichen Vorhang und einer Säule als Requisit. Das hört sich originell an, ist es auch, wenn man es für den Privatgebrauch anfertigt und – wie der Gastgeber zeit seines Lebens – in einer Schachtel verwahrt und höchstens im Bekannten- und Familienkreis herumzeigt.
Dass diese privaten Schüsse nun an die Öffentlichkeit gezerrt werden, hätte Loriot nie geduldet. Dazu sind sie einfach zu uninteressant. Die meisten der Abgebildeten kenne ich nur als Insider. Als Zeitdokument ist die Mehrzahl der Fotos zu privat. Das Posing derjenigen, die es vor der Kamera gewohnt waren (Schauspieler wie Walter Giller oder Horst Buchholz) wirkt angestaubt. Das Posing der anderen (Autoren, Kollegen, Verleger) wirkt meist übertrieben „kreativ“ (Tomi Ungerer mit bloßem Oberkörper). Am ehrlichsten sind die Fotos von Verwandten und weniger prominenten Bekannten. Sie schauen hölzern bis schüchtern in die Kamera. Manchmal scheint es ihnen sogar unangenehm. All diese Fotos als Loriots erste „Gehversuche bei der Inszenierung von Alltäglichem“ zu bezeichnen, erscheint mir übertrieben. Dagegen sollte man den Hinweis, dass es sich nicht um ein originäres Werk handelt, sondern um nachgelassene Materialien, ganz dick auf den Buchdeckel schreiben. „Zum besseren Verständnis des Vicco von Bülow“, wie Peter Geyer im Vorwort behauptet, tragen sie leider nicht bei.